Sprache auswählen

Reinhard aus Ammendorf

 

Einen Teil meiner Kindheit habe ich bei meinen Großeltern in Halle -Saale OT Ammendorf verbracht. Meine Großeltern stammen aus Schlesien ( Glatz). Sie waren sehr religiös (rk) und konservativ.

Da war es natürlich einen Katastrophe, dass ihre Tochter von einem Russen schwanger wurde. Meine Mutter ging dann mit einer benachbarten Familie, die aus Ostpreußen stammte und in Halle - Saale Zwischenstation machte, hinüber in den Westen nach Göttingen. Hier kam ich auf die Welt. Das war im Oktober 1946. Irgendwie hatte sie dann das Heimweh gepackt und es ging im Februar 1947 wieder über die grüne bzw. weiße Grenze zurück nach Halle - Ammendorf.

In der Zwischenzeit war mein Vater zurückgekommen und hatte erfahren, dass es einen Ableger von ihm gibt und wollte mich natürlich sehen.

Es existiert noch ein altes, unleserliches Telegramm von Halle nach Göttingen.

Von meinem Großvater erfuhr ich später, dass er versetzt worden war und kein Kontakt mehr zustande kam.

Von meiner Mutter habe ich nichts erfahren, sie hat das Thema verdrängt und wollte sich auch an nichts erinnern. Sie gab ihr Wissen nicht preis.

Dass ich einen russischen Vater habe, erfuhr ich erst mit 16 Jahren von meinem Großvater.

Meine Mutter ist dann mit ihrem älteren Bruder und ihrer Schwester in den Westen gegangen. Sie hat dort geheiratet. Ich blieb noch bis zu meiner Einschulung in der DDR.

Die Einschulung war dann im Westen. Ich blieb allerdings nur ein Jahr bei meiner Mutter und ihrem Mann.

Für mich war es eine schlimme Zeit. Als meine Großeltern einmal zu Besuch waren nahmen sie mich wieder mit nach Halle.

Mein Stiefvater lehnte mich ab. Ich wusste nie, wofür ich die Prügel bekam, die er mir verabreichte. Im Nachhinein wurde mir klar, dass er ein Dummkopf gewesen ist.

Die Zeit in Halle war die schönste Zeit in meiner Kindheit. Mit meinem Opa baute ich Segelschiffe, die wir in Ammendorf in der Elsteraue fahren ließen.

Von meinem Opa wusste ich auch, dass die Eltern meines Vaters und auch er, Seeleute und Schiffsbauer aus Sewastopol waren. Diese Neigung hat sich bei mir, meinem ältesten Sohn und Enkelin Lara fortgesetzt. Wir sind alle drei verrückt nach Meer und segeln im eigenen Segelboot.

Meine Großeltern planten, die DDR zu verlassen, weil ihre Kinder mittlerweile im Westen waren. D.h. ich musste wieder in den Westen zu Mutter und Stiefvater.

Inzwischen hatte ich Halbgeschwister bekommen, die betreut werden mussten. Ich musste zu Hause mit ganz schön mit anpacken. Wir hatten zu Hause eine Viehhandlung, die uns als Selbstversorger das Überleben sicherte.

Mein Stiefvater war Knecht auf einem Bauernhof, wir wohnten in einer Kate. Meine Mutter musste im Sommer bei der Ernte helfen (Frondienst). Für mich begann wieder eine schwierige Zeit. In der Familie meines Stiefvaters war ich der absolute Außenseiter und ich bekam auch die fiese Art zu spüren, wie sie über meine Herkunft dachten.

Am Anfang tat es richtig weh. Dann entwickelte ich mich zum Einzelkämpfer und mir wurde diese Sorte Mensch total egal.

Mir wurde ab dem 13. Lebensjahr klar, dass die alle ganz schön unterbelichtet waren.

Ich hatte in diesen Jahren schon angefangen alle möglichen Bücher zu lesen, Reiseberichte, Geschichte vieles anderes. Später habe ich heimlich gelesen, weil es den anderen unheimlich wurde. Ist das nicht lustig?

Ich hatte mir vorgenommen, wenn die Zeit dafür da ist, fortzugehen.

Mit dem 15. Lebensjahr kam ich in die Lehre, die 3 ½ Jahre dauerte. Dann war ich Maschinenschlosser. Im ersten Jahr bekam ich als Stift 90,-DM, das war für mich viel Geld. Aber ich musste alles abgeben, sie ließen mir nur 2 DM Taschengeld pro Woche.

Da kam Frust auf. Der Stiefvater verdiente damals beim Bauern 30,- in der Woche.

Am meisten ärgerte mich daran, dass meine Halbgeschwister nichts abgeben mussten. Sie durften den größten Teil behalten.

Von meinem Großvater erfuhr ich dann von meiner Herkunft.

Da war ich richtig stolz. Ich behielt es für mich und sah die Familie des Stiefvaters mit ganz anderen Augen.

Nach der Berufsausbildung habe ich mich dann von meiner Mutter verabschiedet. Das gab natürlich Probleme, ein Zahler fiel aus. Mir war es egal. Der Wehrdienst stand an. Bei der Bundeswehr gab es nur 80,-DM im Monat, beim Bundesgrenzschutz 290,-DM. Das Auswahlverfahren dauerte 3 Tage. Ich hatte es geschafft. Jetzt kam meine Zeit, es begann ein anderes Leben. Ich habe es genossen.

Mit 23 Jahren habe ich geheiratet. Das ist dann wieder eine andere Geschichte.

Bei allem interessiert mich nun, was sind das für Menschen in Russland? ((Zovjetunion- Adenauer). Quellen hatte ich ja genug, Verwandte in Halle, Wittenberg und Wolfen. Deren Nachkommen hatten mich mit Propagandamaterial versorgt. Die Reisen in die DDR haben ständig stattgefunden.

Wenn ich rüber fuhr mit dem PKW in Helmstedt ankam, in der Grenzabfertigung Bohnerwachs und im Winter den Braunkohlemief roch, dann wurde es mir warm ums Herz und es kam das Gefühl auf, jetzt bist du wieder zu Hause.

Es folgten noch Reisen mit den Falken (Wir waren Gäste der Urania), alles was es an Büchern vom Dietz Verlag /Leipzig gab, wurde in Augenschein genommen und gekauft. An Tonträgern bin ich heute noch gut bestückt. z.B. Ernst Busch, Gisela May, Oktoberclub usw.

1969 habe ich geheiratet, 1975 kam der erste Sohn zur Welt. Er bekam natürlich einen slawischen Namen, Mirko - Alexej. Das sorgte für Verwirrung. Er hat sich bis heute nicht beschwert. Der zweite heißt Tino-Benjamin. Das passt. Denn Bejamin ist der zuletzt Geborene.

Zusammenfassend: Der zweite Teil meiner Kindheit war grauselig. Heute habe herkunftsmäßig keine Bauchschmerzen mehr.

Es gibt noch viele Anekdoten, irgendwann in lustiger Runde, bei einem Glasnost werden wir bei der Ballade vom Baikal anstoßen.

 

Reinhard, im November 2013